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Wie zeigt sich ADHS in der Beziehung?

Wie zeigt sich ADHS in der Beziehung?

Beitragsbild ADHS in der Beziehung

 

ADHS in der Beziehung erkennen und gut damit umgehen

Der Klamottenhaufen wurde wieder nicht wie versprochen weggeräumt und auch das Regal ist nach Monaten noch nicht aufgebaut? Wie kann es sein, dass man sogar am Jahrestag nicht pünktlich zum Essen da ist? Und schon wieder diese Endlosdiskussion. Bin ich ihr überhaupt wichtig, wenn meine Beziehungsperson mir gar nicht richtig zuhört?

Kommen Dir solche Beispiele bekannt vor?
Streit um Aufgaben im Haushalt und gegenseitiges Zuhören kommen als Thema in einer Paartherapie häufig vor. Wenn einer der Partnerpersonen ADHS hat, hat dies jedoch einen besonderen Hintergrund, der wichtig ist zu verstehen.

Lies in diesem Artikel, wie sich ADHS in der Beziehung zeigen kann, was Symptome und typische Konflikte sein können und welche hilfreichen Tipps und Strategien es gibt.

Was ist ADHS?

ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung und ist eine neurologische Besonderheit, auch Neurodivergenz, die sich auf die Aufmerksamkeit, Impulsivität und Aktivität einer Person auswirkt. Die Symptome von ADHS zeigen sich auch in Beziehungen und können somit eine Rolle in der Partnerschaft spielen. Um besser mit den Herausforderungen, die ADHS in der Beziehung mit sich bringt, umzugehen, können verschiedene Strategien helfen, die wir zum Ende des Artikels besprechen.

Hilfreich ist zunächst, ein Verständnis für die besondere Reizverarbeitung des ADHS Gehirns zu haben. Dieses kann Reize nicht so leicht filtern und muss viel mehr gleichzeitig bewältigen als neurotypische, also „normale“ Gehirne. Wenn ich mir vor Augen führe, dass es für meinen Gegenüber so schwierig ist meinen Worten zu folgen, als würden wir das Gespräch in einer überfüllten Bahnhofshalle führen, kann man Empathie entwickeln und muss  sich nicht gekränkt fühlen, wenn er/sie abgelenkt wird oder etwas nicht richtig mitbekommt.
Auch kosten viele Anforderungen mehr Energie, wodurch es zu einer größeren Erschöpfung kommen kann.
Zudem ist das neurodivergente ADHS Gehirn aufgrund seines Dopaminmangels darauf angewiesen, dass etwas besonders interessant und somit stimulierend ist, um „dran bleiben“ zu können.

Das ADHS Gehirn ist ständig auf der Suche nach Dopamin. Deswegen springt es häufig von Thema zu Thema und Reiz zu Reiz.

Disclaimer: In diesem Artikel wird mehr auf die möglichen Schwierigkeiten, die ADHS mit sich bringen kann, eingegangen, als auf die positiven Aspekte. Was aber nicht zu der verzerrten Sicht führen sollte, eine Beziehung mit einem Menschen mit ADHS wäre viel schwieriger, als mit einer neurotypischen Person. Es Bedarf eher einem anderen Umgang, der durch Verständnis möglich wird. Deswegen sollte man, wenn eine Person ADHS in der Beziehung hat, gemeinsam eine Paarberatung oder Paartherapie aufsuchen und zuvor sicherstellen, dass die Therapeut:in sich mit dem Thema auskennt.

Exekutivfunktionen

Wieder wurden dringende Aufgaben von der Partner:in nicht erledigt? Eine Exekutive Dysfunktion im Rahmen von ADHS beschreibt, vereinfacht gesagt, dass eine Person mit ADHS Probleme damit hat, Dinge zu tun. Also von der Planung in die Umsetzung zu kommen.

Wurde ADHS bei einem Menschen noch nicht diagnostiziert, können sich Betroffene zu Unrecht als „faul“ oder regelrecht „funktionsuntüchtig“ erleben. Sie sind von den vielen einfachen Aufgaben des Alltags überfordert und geraten in eine lähmende Blockade. Aufgaben werden wochen-, monate- oder jahrelang vor sich hergeschoben, egal, wie wichtig oder dringend sie sind. Das ist für die betroffene Person sehr unangenehm und kann zudem erhebliche finanzielle Nachteile nach sich ziehen. Was von außen wie Untätigkeit aussieht, ist von innen manchmal ein „zuviel gleichzeitig gleich wichtig“ an Plänen, die sich gegenseitig ausblocken.

Prokrastination (Aufschieberitis) im klassischen Sinne wird meistens durch Ängste verursacht, während eine exekutive Dysfunktion etwas ist, das davon unabhängig andauernd besteht, da entscheidende Botenstoffe im Gehirn unterpräsent sind.

Betroffene, die ADHS-Medikamente nehmen, beschreiben dies dann auch oft als gebessert. Hier sei aber direkt gesagt, dass Medikamente positive Effekte haben können, die „Störung“ aber nicht wegzaubern und zudem Nebenwirkungen haben können.

 

ADHS in der Beziehung Bild 1 im Beitrag
In einem ADHS Gehirn passieren oft viele Dinge gleichzeitig. Dabei können sich mehrere Gedanken und Vorhaben gegenseitig blockieren.

 

Impulsivität

Eine Herausforderung für Partner:innen von Menschen mit ADHS ist oft die gesteigerte Impulsivität. Zum einen kann sie sich harmloser darin äußern, wie häufig im Gespräch die andere zu unterbrechen oder plötzlich ein neues Projekt im Haushalt zu starten.
Menschen mit ADHS können aber beispielsweise auch dazu neigen, spontane Entscheidungen zu treffen, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Dies kann zu finanziellen Problemen führen, wie zum Beispiel impulsiven Einkäufen oder unüberlegten Investitionen. 

Zeitblindheit, Organisationsprobleme

Desorganisiertheit und Zeitblindheit können ebenfalls eine Partner:innenschaft auf die Probe stellen. Menschen mit ADHS haben oftmals Schwierigkeiten, die Zeit richtig einzuschätzen, sowie Aufgaben zu organisieren. Dies kann zur Folge haben, dass sie ständig zu spät kommen oder Verabredungen vergessen oder zu viel auf einmal planen. Ein Partnerperson könnte sich leicht vernachlässigt oder weniger wichtig fühlen, wenn seine Beziehungsperson sich ständig verspätet oder ganz vergisst, wichtige Termine einzuhalten.

ADHS in der Beziehung Grafik negativer Hyperfokus ADHS in der Partnerschaft

Hyperfokus

Der verstärkte positive und negative Hyperfokus bei Menschen mit ADHS kann zu Problemen in der Beziehung führen. Positiver Hyperfokus bedeutet, dass jemand mit ADHS sich extrem auf etwas konzentriert bzw. in etwas vertieft, wenn ein Thema oder eine Aktivität besonders interessant ist. Durch das Interesse ist dann viel Aktivität möglich, in die man allerdings unter Umständen völlig versinkt. Ähnlich wie ein Gamer:in, der ohne es zu merken 20 Stunden ein Videospiel spielt.

Eine Partner:in könnte sich dadurch vernachlässigt fühlen, wenn die andere zu sehr in ihre eigenen Interessen vertieft nicht ansprechbar ist und wenig Aufmerksamkeit für die Beziehung übrig hat. 
Negativer Hyperfokus hingegen bedeutet, dass jemand sich so stark auf negative Gedanken oder Ereignisse fixiert, dass er/sie Probleme hat, sich wieder davon zu lösen. Das kann in einem Streit zu zermürbendem Endlosdiskussionen führen. Bei einer Kritik wird diese im negativen Hyperfokus als absolut und oft als sehr bedrohlich erlebt. Punkte, die die Kritik relativieren, sind nicht mehr zugänglich.
Auch Menschen ohne ADHS geraten in einen negativen Hyperfokus. Jedoch meist nicht so häufig.

Stimmungsschwankungen

Plötzliche Stimmungsumbrüche kommen ebenfalls vermehrt vor, was das Gegenüber verunsichern kann. Die wechselnden, teilweise intensiven Emotionen können zudem bei der Betroffenen viel Energie verbrauchen.
Auf die Zurückweisungsempfindlichkeit bei ADHS, die auch mit starken Gefühlen einhergeht, wird später nochmal eingegangen.

 

ADHS und Sexualität

Im Kontext von ADHS kann es vorkommen, dass Sex einen besonderen Stellenwert bekommt. Ein Hyperfokus in der Körperlichkeit kann sehr genussvoll sein. Es kann sich jedoch auch ein suchtähnliches Verhalten entwickeln. Schließlich liefert es Dopamin, wonach ein ADHS Gehirn ständig auf der Suche ist. Sex als Bewältigungsstrategie für negative Emotionen, als auch unter Kontrollverlust (Alkohol, Drogen) kommen laut einer Studie in der Jugend, bzw. bei Frauen mit ADHS häufiger vor. 
Genauso können aber auch die Belastungen, die mit der Neurodivergenz einhergehen, das Einlassen auf Sex verunmöglichen. 

Strategien und die richtige Haltung

Neben Verständnis und Empathie, ist es manchmal hilfreich in der Beziehung klare Kommunikationsregeln aufzustellen, um Missverständnisse zu vermeiden, als auch günstige Bedingungen für Gespräche zu kreieren.

Tipps für Konfliktgespräche bei ADHS in der Beziehung

  1. Eine ruhige Umgebung aufsuchen
  2. Blickkontakt aufnehmen
  3. Positive Aspekte der Beziehung voranstellen
  4. Kritikpunkt kurz, klar und sachlich benennen, mit einem konkreten Wunsch oder Lösungsvorschlag
  5. Lass dem gegenüber Zeit das Gehörte zu ordnen und für eine Reaktion.

Ruhige Umgebung und Blickkontakt, bevor ich das mir wichtige anbringe beispielsweise. Oder auch ein schnelles „Time Out“ für 15 Minuten verabreden, wenn ein Streit hitzig wird.

Es ist auch hilfreich gemeinsam Strategien zu entwickeln, um mit impulsiven Entscheidungen umzugehen, wie zum Beispiel einen gemeinsamen Haushaltsplan aufzustellen. Zudem kann es nützen, die Partner:in mit ADHS dabei zu unterstützen, Zeit besser zu organisieren, indem man gemeinsam einen Kalender führt oder Erinnerungen einstellt.

Es ist auch deshalb besonders wichtig, Verständnis und Geduld in der Partnerschaft zu haben, weil Menschen mit ADHS oft unter einer „Rejection Sensitivity Dysphoria“ leiden. Einer Zurückweisungsempfindlichkeit.  Das bedeutet, sie erleben Kritik als absolute Ablehnung. 
Neben dem negativen Hyperfokus kann man dies meines Erachtens auch deshalb gut nachvollziehen, da ADHSler oft ihr Leben lang die Erfahrung gemacht haben, normale Dinge nicht zu können, dafür kritisiert zu werden und Irritation und Ablehung durch ihr Verhalten auszulösen.

Wenn einen etwas stört, sollte man am besten freundlich und konstruktiv darauf ansprechen, anstatt ärgerlich Desinteresse oder mangelnde Wertschätzung zu unterstellen. Es bedeutet nicht, dass die Person nicht auf ihr Verhalten angesprochen werden darf oder keine Verantwortung dafür übernehmen soll. Verständnis bedarf es nicht nur bei der Partnerperson, sondern ist grade auch die Aufgabe des Menschen mit ADHS, sich in solchen Situationen von Außen betrachten zu lernen und nicht jedem Gefühl, was einen befällt, zu glauben. Wenn sich alle bewusst sind, wie sich die Störung in der Interaktion auswirken kann, kann dies dann durch offene, ruhige Kommunikation und gegenseitige Unterstützung erfolgreich bewältigt werden. 

5 Tipps, um mit ADHS besser Dinge erledigen zu können

  • Körperliche Anwesenheit (Body Doubling) kann bei ADHS besonders helfen eine uninteressante Aufgabe anzugehen. 

  • Eine flexible, nicht zu enge, aber vorhandene Struktur kann einen hilfreichen Rahmen bieten. 

  • Zeitdruck kann die nötige Spannung erzeugen um etwas zu erledigen. ADHS- Life Hack: Besuch einladen, um bis dahin aufzuräumen. 

  • Wünsche und Aufgaben immer nur nacheinander, also in kleinen Häppchen,  kommunizieren. (Ticket-System) Zuviel auf einmal führt eher zu eine Blockade.

  • Schuhe anlassen und sich nicht hinsetzen.

    Keine Langeweile

    An der Stelle ist es wichtig klarzustellen, dass die neurotypische Person nicht dafür zuständig ist, Lösungen zu finden oder die ADHSlerin zu „fixen“. Es geht allenfalls, darum hilfreich zur Seite zu stehen. Zudem haben auch neurotypische Personen gleichermaßen ihre „Baustellen“. Die Aufteilung von Problemfall und Normalmensch passt nicht. Und nicht zu vergessen:

    Diese Qualitäten, die mit einer Neurodivergenz oft einhergehen, können eine Liebesbeziehung sehr bereichern.

      ADHS bringt auch positive Seiten und Fähigkeiten mit sich:

      • Kreativität
      • Intensität
      • Hilfsbereitschaft
      • Spontanität
      • Sensibilität
      • Leidenschaft
      • Originalität
      • Wissenstiefe durch den Hyperfokus

        Jeder Mensch ist anders

        ADHS gibt es in unterschiedlichen Erscheinungsformen und Ausprägungen. Es liegt also auf einem Spektrum und kann sich mit unterschiedlichen Symptomen und unterschiedlicher Intensität zeigen. Bei Frauen scheint sich z.B.die Hyperaktivität öfter nach innen zu richten und nicht durch das typische zappelige sichtbar zu werden.

        Individuelle Ausprägung heißt also auch, was für den einen geht, ist für die andere ein riesen Problem. Beispielsweise haben manche Menschen beruflich große Schwierigkeiten, andere machen beeindruckende Karrieren. Wer wann in der Lebensgeschichte welche hilfreichen oder erschwerenden Bedingungen vorfand, hat einen großen Einfluss. Deswegen müssen wir immer ganz individuell schauen, was es für die Partner:in genau bedeutet. Es ist ein Spektrum und es gibt nicht die eine Schublade, die allen Menschen gerecht wird.

        Wenn Du oder ihr eine ADHS sensible Einzel- oder Paartherapie ausprobieren möchtet, könnt ihr hier einen Termin für ein Erstgespräch vereinbaren.

        Tina Steckling – SOULMATES