Auf Social Media tummelt sich derzeit eine Vielzahl an Life-Coaches unter denen sich, zumindest gefühlt, die meisten einig sind: Die Überwindung deiner Probleme ist jederzeit möglich. Man*frau muss es nur wollen, das richtige Mindset haben und loslegen. In diversen Instagram und Facebook Posts lachen dir die extrem gut gelaunten Persönlichkeits-Entwicklungshelfer entgegen und wollen dich motivieren, dein Verhalten und deine Einstellung zum Positiven zu verändern. Jeder ist seines Glückes Schmied! Das mag für manche inspirierend und hilfreich sein, jedoch nicht für alle. Für einige Menschen können derartige Thesen nicht nur zusätzlich belasten. In einer vulnerablen Lebenssituation können diese Aussagen und Appelle sogar seelischen Schaden anrichten.
Glück als angestrebter Normalzustand im Life-Coaching
Coaching ist beliebt. Die Anzahl existierender Life-Coaches steigt seit den 90er Jahren stetig an. Life-Coaching ist eine Art der Lebensberatung, die sich von der Psychotherapie unter anderem dadurch unterscheidet, dass es bis zum heutigen Zeitpunkt kein offiziell anerkannter Beruf ist. Es besteht eine Vielzahl an Beschreibungen für das, was Life-Coachings eigentlich sind. Die angewandten Methoden sind sehr divers. Manche ähneln psychotherapeutischem Vorgehen (wie systemisches Coaching). Da es keine geschützte Berufsbezeichnung ist, kann aber jeder auf seine Weise Coaching anbieten. Im Fokus liegt jedoch zumeist die Verbesserung des Wohlbefindens und die Sinnfindung im Leben. Im Gegensatz zur Psychotherapie werden von Life-Coachings die Personen mit psychischen Symptomen im Sinne einer Störung, ausgeschlossen. Diese dürfen ausschließlich von ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten oder Heilpraktikern für Psychotherapie behandelt werden. Da es jedoch grunsätzlich um den Wunsch nach einer Veränderung eines emotionalen Zustandes beim Kunden geht, gibt es eine Schnittmenge bei den Zielgruppen.
Häufig ist in Kreisen von Life-Coaches mit einem eher euphorischen oder salbungsvollen Auftritt die Überzeugung zu beobachten, Glück sei der anzustrebende Normalzustand. Jederzeit solle deshalb versucht werden, in ein glückliches, zufriedenes Gefühl zurückzukehren. Es wird suggeriert, dass immer eine Wahl bestehe und niemand unglückliche Zustände aushalten müsse. Gefühle sind nach dieser Ansicht vor allem Entscheidungssache. Das halte ich für problematisch.
Jeder ist seines Glückes Schmied – Negative Gefühle als Misserfolg
Glaubt man, bzw. frau daran, dass sie die eigenen Gefühle jederzeit steuern und verändern kann, dann gelten unangenehme Gefühle wie Frust, Wut, Schmerz und Traurigkeit leicht als Misserfolg. Aus therapeutischer Sicht ist das kritisch. Es stimmt zwar, dass Eigenverantwortung eine große Rolle für unsere psychische Gesundheit spielt. Genauso wichtig jedoch ist die Anerkennung der Situationen, in denen wir nicht selbst dazu in der Lage sind, unsere Gefühle zu steuern. Es gibt Gegebenheiten und belastende Lebensereignisse, die keinesfalls mit der lediglich richtigen Einstellung oder Haltung emotional gemeistert werden können. Erlebt ein Menschen Gewalt, Unterdrückung, Vernachlässigung und großen Verlust, dann kann das unvermeidliche gravierende seelische und emotionale Folgen haben. Jemand mit einer akuten Traumatisierungen, aber genauso jemand, der an einer affektiven Störung oder Angst-, oder Paniksymptomen leidet, braucht mehr als den starken Willen, sein Glück selbst in die Hand zu nehmen. Schallt einem solchen Menschen die „Jeder ist seines Glückes Schmied“-These entgegen, kann sich das für sie*ihn wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen.
Jeder Mensch ist unterschiedlich gut gerüstet für die Rückkehr zu einem positiven Lebensgefühl
Generell gilt: wie gut es einer Person gelingt, positive Gefühle zu erzeugen, ist nicht ausschließlich eine Frage des Willens oder der Einstellung. Der Begriff der Resilienz wird in der Psychologie für die menschliche Fähigkeit benutzt, gestärkt und positiv aus Lebenskrisen hervorzugehen. Wie sehr jemand diese Fähigkeit besitzt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Zum Beispiel davon, welche Erfahrungen sie*er in der Kindheit gemacht hat, ob es Traumata und welche haltgebenden Ressourcen es gab. Welche sozialen Kompetenzen erworben wurden, aber auch welche genetischen Veranlagungen vererbt wurden. Zwar gelten bestimmte Eigenschaften für Resilienz auch als nachträglich entwickelbar, zum Beispiel Selbstliebe. Jedoch ist der Startpunkt quasi für jede*n anders und es gibt nicht immer die idealen Gegebenheiten, die eine solche nachträgliche Entwicklung ermöglichen. Bei jemanden, der sowohl psychisch belastet, als auch strukturell wirtschaftlich oder sozial benachteiligt ist, wäre es zynisch die gleichen Maßstäbe anzusetzen, wie bei einer Person, in stabiler Lebenssituation, der alle Mittel zur Verfügung stehen. Einfluss auf das eigene emotionale Erleben zu haben und Resilienz entwickeln zu können, muss also in seiner Erwartung höchst individuell im Kontext gegebener Bedingungen betrachtet werden.
Lieber schuldig, als machtlos
Immer ausgeglichen und positiv gestimmt zu sein, ist jedoch nicht nur eine unrealistische Erwartung, die an der Lebensrealität von uns als Menschen vorbei geht. Der Anspruch hat auch bei manchen einen unmittelbar negativen Einfluss auf die Psyche. Es ist in dem Zusammenhang hilfreich etwas Grundsätzliches der Psychologie des Menschen zu verstehen: Ein Kind, dem Schlimmes durch seine Eltern widerfährt, neigt unweigerlich dazu, die Schuld für das negative Verhalten der Eltern auf sich zu nehmen. Wenn sie mich nicht lieben, ist mit mir etwas falsch. Das ist so, weil wir existentiell von den Personen abhängen, die uns versorgen (sollen). Es ist tief in uns verankert, als Kinder die Beziehung zu ihnen nicht zu riskieren. Wir könnten uns schließlich nicht einfach andere Eltern suchen und ohne sie würden wir schlicht verhungern. Die Schuld auf sich zu nehmen hat in diesem Sinne eine wichtige Überlebensfunktion. Zudem gibt es uns das beruhigende Gefühl, Kontrolle und Einfluss zu haben. Mich selbst kann ich ja theoretisch ändern. Im psychotherapeutischen Kontext heißt es auch: Schuld ist eine Machtphantasie. Sie erspart uns das Gefühl des Ausgeliefertseins. Schuld gibt es jedoch nur da, wo es eine Entscheidung gibt. Ohne das wir uns dies im Prozess behutsam bewusst werden, die schmerzhaften Erfahrungen der Machtlosigkeit integrieren und lernen uns darin auf unsere eigene Seite zu stellen, bleiben wir im alten Leid gefangen.
Selbstoptimierungs-Spirale als Bekräftigung von Minderwertigkeitsgefühlen
Auf unsere eigene Seite stellen bedeutet eben in erster Linie, erstmal nicht anders sein zu müssen. Eine wichtige Erkenntnis in der Psychologie ist die Erkenntnis: Wenn ich mich akzeptiere wie ich bin, dann ändere ich mich (Carl Rogers), oder auch Alles was da sein darf, kann auch wieder gehen. Gerät eine Person, die in ihrer Kindheit die Schuld am defizitären Verhalten der Eltern auf sich nahm, in das Fahrwasser eindringlich vorgetragener Selbstoptimierungs-Parolen, dann kann dies die innere Schulddynamik erst recht befeuern. Die aus der Kindheit stammende Überzeugung des anscheinend minderwertigen Selbsts, wird dadurch bestärkt, Akzeptanz und eine positive innere Entwicklung werden erschwert.
Anstatt Selbstoptimierung empfehle ich: Loslassen der Überzeugung, besser sein zu müssen
Ich denke, für viele Menschen ist das Loslassen der kontinuerlichen Anforderung immer besser sein zu müssen viel wichtiger um sich nachhaltig mit sich selbst besser zu fühlen, als eine vermeintlich erfolgreiche Selbstoptimierung. Jemand, der verinnerlicht hat, eigentlich nicht gut genug zu sein, neigt eher zu einem übersteigerten Anspruch an sich selbst. Er*sie läuft eher Gefahr sich von den vermeintlichen Glücksversprechern angezogen zu fühlen und ihnen allzu unkritisch zu glauben. Denn das höher, schneller, weiter des Selbstoptimierungs-Trends verbündet sich mit den negativen Bewertungen und Forderungen des eigenen inneren Kritikers. Dann kann die Selbstoptimierung sogar eine Art Sucht werden: Da unsere Anstrengung dem negativen Glauben über uns folgt, kann sie nicht nachhaltig zufrieden machen. Die guten Gefühle über das Erreichte verschaffen immer nur kurz Erleichterung und das Bemühen muss immer wiederholt und die Erfolgs-Latte immer höher gelegt werden.
„Das Leben ist schwierig“ – M. Scott Peck
Wenn Glück also immer in in Reichweite wäre, dann dürfte es Schmerz, Trauer und Wut nicht oder nie lange geben. Tatsächlich gehören sie aber zum Leben dazu. Sie werden umso mehr zum Leid, je mehr wir sie ‚weghaben‘ wollen, oder eben durch sie unzulänglich fühlen. In meiner Arbeit empfinde ich die Anerkennung des Schmerzhaften und die Würdigung der Schwere oder Komplexität mancher Lebenssituationen als grundlegend.
Auch das Credo, dass in jeder leidvollen Erfahrung ein tieferer Sinn für uns bereit liegt, ist nicht etwas, was wir so an andere herantragen sollten. Wenn die Person, der Schlimmes widerfahren ist, auf ihrem Weg dorthin kommt, dass sie für sich daraus einen tieferen Erkenntnisgewinn oder sogar neuen Lebenssinn zieht – wunderbar! Aber das heißt nicht, dass es uns Außenstehenden zustünde, dies erwarten oder einzufordern!
Das Recht auf Gefühle
Neben der individuellen, hat das Thema auch eine politische, bzw. gesellschaftliche Dimension: Solange wir nicht in einer perfekten und gerechten Welt leben, ist die Zuschiebung der hundertprozentigen Verantwortung für das eigene Wohlergehen auf das Individuum Victim-Blaming und ein Negieren von Missständen und unser Verantwortung in der Gesellschaft füreinander.
Aber auch ohne die gesellschaftliche Dimension: Im sozialen Kompetenztraining lernt man*frau, dass wir schlicht und ergreifend immer das Recht haben zu fühlen, wie wir fühlen. Es gibt kein ‚falsch fühlen‘. Unsere Gefühle sind zwar oft keine akkurate Beschreibung der Situation. Aber sie haben im Kontext unserer Erfahrungen immer Sinn und ihre Berechtigung. Wenn wir im Schlechten mit unseren Gefühlen da sein dürfen und füreinander und für uns selbst da sind, dann wird auch das Schlimme deutlich aushaltbarer.
Tina Steckling – Soulmates
Soulmates bietet ebenfalls Coaching an. Was wir darunter verstehen, lies hier!
Im Unternehmens-Kontext können Resilienz-Trainings einen ähnlich schädlichen Effekt haben, wenn sie Arbeitsbedingungen und belastende Strukturen nicht mitdenken – Die wunderbare Kollegin Katrin Terwiel bleuchtet dies in ihrem Blog-Artikel hier.